Der Weg zum Grundgesetz
Die Entstehung des Grundgesetzes hängt eng zusammen mit dem zunehmenden Gegensatz der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und ihrer Politik in den jeweiligen Besatzungszonen: Einerseits der Sowjetunion und der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ), aus der dann die DDR wurde, und andererseits der drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich mit ihren Zonen, aus denen dann die Bundesrepublik wurde.
Die Spannungen gipfelten letztlich im „Kalten Krieg“, der eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands mehr und mehr unmöglich machte.
Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur westdeutschen Staatsgründung war die am 1. Januar 1947 geschaffene Bizone (USA und GB), der sich 1948 auch die französische Zone anschloss.
Um die ökonomische und politische Destabilisierung Europas zu verhindern, beschlossen die USA ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm für Europa, den Marshall-Plan. Davon konnten auch die westdeutschen Länder profitieren, während die UdSSR die Teilnahme von Ländern in ihrem Einflussbereich, also auch die SBZ, verbot.
Für die Teilung Deutschlands in wirtschaftlicher Hinsicht war die Währungsreform von 1948 von entscheidender Bedeutung. Diese galt nur für die Westzonen. Die Sowjetunion führte daraufhin in ihrer Zone eine eigene Währungsreform durch und versuchte mit der Berlin-Blockade 1948/49 Druck auf den Westen auszuüben und die Schaffung eines westdeutschen Staates zu verhindern. Das Unterfangen scheiterte und die UdSSR verlor viel Ansehen. Fortan war Deutschland in zwei Wirtschafts- und Währungsgebiete gespalten.
Der Weg zur Staatsgründung war die letzte, logische Konsequenz. Am 1. Juli 1948 überreichten die drei westlichen Militärgouverneure den Ministerpräsidenten der zwischenzeitlich gegründeten westdeutschen Länder die „Frankfurter Dokumente“: Eine einberufene Verfassungsgebende Versammlung sollte eine demokratische Verfassung für einen föderalistischen Staat erarbeiten, der die Grund- und Menschenrechte garantiert. In einer Volksabstimmung sollte dann die Verfassung in Kraft gesetzt werden. Die Ministerpräsidenten wollten aber nicht, dass die Teilung Deutschlands besiegelt wird und betonten den provisorischen Charakter der neuen Verfassung: Erarbeitet werden sollte sie von einem „Parlamentarischen Rat“ und der Name sollte Grundgesetz sein; auch sollte über die neue Verfassung nicht in einer Volksabstimmung, sondern in den Länderparlamenten entschieden werden. Der provisorische Charakter wurde dann im fertigen Grundgesetz durch eine Präambel bekräftigt, die die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung als Ziel ausgibt.
Die 65 Abgeordneten des in Bonn tagenden Parlamentarischen Rates waren von den Länderparlamenten gewählt worden. Jeweils 27 gehörten der SPD und CDU/CSU an, jeweils 6 der FDP und der KPD. Vorsitzender war Konrad Adenauer, Parteivorsitzender der CDU in der britischen Zone.
Die heftigste Kontroverse im Rat gab es um die Ausgestaltung der bundesstaatlichen Ordnung. Es wurde ein Bundesrat als Ländervertretung geschaffen, der eigene Gesetze einbringen und solche des Parlaments bestätigen konnte. In dieser Frage setzte sich die CDU gegen die SPD durch, die für eine starke Bundesgewalt eingetreten war. Die SPD setzte sich dagegen in den Finanz- und Steuerfragen durch (starke Bundesfinanzverwaltung, umfassende Steuererhebungskompetenzen des Bundes, verbindlicher Finanzausgleich zwischen wirtschaftsstärkeren und –schwächeren Bundesländern). Hinsichtlich der künftigen Wirtschaftsordnung blieb das Grundgesetz offen. Artikel 14 garantierte zwar das Eigentum, ermöglicht aber auch Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit gegen Entschädigungen. Artikel 15 bestimmte, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel gegen Entschädigung vergesellschaftet werden können.
Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit 53:12 Stimmen im Parlamentarischen Rat angenommen und danach in allen Ländern, mit Ausnahme Bayerns, ratifiziert. Am 23. Mai unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Länder und die Landtagspräsidenten in einem feierlichen Akt in Bonn das Grundgesetz. Der neue Staat erhielt den Namen „Bundesrepublik Deutschland“.
Grundgesetz – Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik
- Stellung des Bundespräsidenten. Der direkt gewählte Reichspräsident hatte in der Weimarer Republik umfassende Rechte. So konnte er mit dem Artikel 48 Notverordnungen erlassen und Artikel 25 gab ihm das Recht der Reichstagsauflösung. Dies führte dazu, dass ab 1930 die Kabinette nur noch vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängig waren. Demgegenüber hat der Bundespräsident nach dem Grundgesetz nur noch vorwiegend eine repräsentative Funktion.
- Misstrauensvotum: Nach Artikel 67 kann der Bundestag dem Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Dieses „konstruktive Misstrauensvotum“ erschwert den Sturz einer Regierung. Lediglich negative Mehrheiten, die sich aus völlig unterschiedlichen Gründen bilden können, reichen zum Regierungssturz nicht aus.
- Das Grundgesetz kennt Volksabstimmungen auf Bundesebene nicht, es ist eine rein parlamentarisch-repräsentative Verfassung.
- Das Grundgesetz hat einen unabänderlichen Verfassungskern, der in Artikel 79 bestimmt wird: unaufhebbar sind demnach der Bezug zur Menschenwürde (Artikel 1) und die in Artikel 20 festgelegten Staatsgrundsätze: Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Sozialstaat sowie die föderative Struktur (Gliederung des Staates in Bundesländer).
Diese Bestimmungen einer Werteordnung sind eine Reaktion auf die in der Anfangszeit des Nationalsozialismus durchgeführte Beseitigung der Grundrechte und der Gewaltenteilung (durch die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“ und das „Ermächtigungsgesetz“).
- Die Weimarer Republik ließ bekanntlich auch den Feinden der Demokratie alle Freiheiten. Demgegenüber versteht sich das Grundgesetz als eine „wehrhafte“ Demokratie. Neben dem erwähnten unabänderliche Verfassungskern bedeutet dies:
- Möglichkeit der Verwirkung von Grundrechten (Art. 18) für Personen, die Freiheiten zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbrauchen. Dies muss durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden und wurde bisher noch nie angewandt.
- Möglichkeit des Verbotes von verfassungsfeindlichen Parteien durch das Bundesverfassungsgericht. Dies wurde bisher zweimal ausgesprochen: 1953 gegen die rechtsradikale Deutsche Reichspartei (DRP) und 1956 gegen die KPD. Da die Parteien im Grundgesetz eine herausgehobene Funktion haben, sind die Hürden für ein Verbot sehr hoch.
- Das Bundesverfassungsgericht hat als „Hüterin“ der Verfassung eine besondere Bedeutung. Es prüft als unabhängige Instanz zum Beispiel, ob Gesetze den Normen des Grundgesetzes entsprechen.
- In Artikel 20 (4) wird den Menschen ein Recht zum Widerstand eingeräumt gegen den, der es unternimmt, die Ordnung des Grundgesetzes zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
- Eine weitere Konsequenz aus dem Scheitern der Weimarer Republik mit ihrer Vielzahl von Parteien im Reichstag war die durch ein Wahlgesetz zum Bundestag Anfang der 1950er-Jahre eingeführte Fünf-Prozent-Klausel. Diese sollte eine Parteienzersplitterung im Bundestag verhindern und eine Regierungsbildung erleichtern.
Grundgesetz – Änderungen/Ergänzungen in 75 Jahren
Das Grundgesetz wurde in 75 Jahren bereits über 60 Mal geändert oder ergänzt. Es ist kein toter Organismus, sondern reagiert auch auf aktuelle Herausforderungen. Einige Beispiele:
- Besonders umstritten waren Ende der 1960er-Jahre die sogenannten „Notstandsgesetze“, die Bestimmungen für den Spannungsfall, den Verteidigungsfall und den Katastrophenfall beinhalten. Sie lösten bestimmte Vorbehaltsrechte der westlichen Alliierten ab und waren insofern auch ein Schritt zu einer größeren Souveränität der Bundesrepublik. Mit ihren Bestimmungen zur Stärkung der Exekutive und den Möglichkeiten zur Einschränkung von Grundrechten lösten sie vor allem Kritik bei den Gewerkschaften aus. Ebenso waren sie ein wichtiger Kritikpunkt der Studentinnen und Studenten in der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO).
- Anfang der 1990er-Jahre wurde durch den Artikel 16a das Asylrecht geändert und faktisch eingeschränkt. Diese Änderung, damals vor dem Hintergrund stark steigender Zahlen von Asylanträgen, war sehr umstritten und wurde vor allem von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert.
- Ebenfalls Anfang der 1990er-Jahre wurde der Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 erweitert, indem dem Staat auferlegt wird, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Auch wurde das Benachteiligungsverbot erweitert, indem nun ausdrücklich Menschen mit Behinderung genannt werden.
- 2002 wurden dann mit Artikel 20a Umwelt- und Tierschutz als Staatsziele bestimmt.